Neutrinos sind Vampire
Würde man das Universum spiegeln, könnten Neutrinos nicht mit den gängigen Gesetzen der Teilchenphysik beschrieben werden: Neutrinos sind Vampire.
Bis in die Mitte der 1950er Jahre waren die meisten Physiker davon ausgegangen, dass unser Universum symmetrisch sei unter der Raumspiegelung P. Dabei hatten sie vergessen nachzusehen, ob dem auch wirklich so ist.
Die Physiker Lee und Yang waren da misstrauischer und ersannen 1956 ein Experiment, mit dem die Gültigkeit der P-Symmetrie überprüft werden sollte. Ein Jahr später zeigte sich: Die P-Symmetrie ist verletzt. Ein Jahr danach erhielten Lee und Yang den Nobelpreis.
Die Verletzung der P-Symmetrie wird bei Neutrinos besonders deutlich. Denn hier ist sie völlig außer Gefecht gesetzt. Dazu muss man wissen, dass sich Neutrinos so verhalten, als drehten sie sich um die Richtung, in die sie fliegen. Dazu stünden ihnen prinzipiell zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Im Uhrzeigersinn oder dagegen. Bisher wurden jedoch nur Neutrinos beobachtet, die sich gegen den Uhrzeigersinn drehen. Anti-Neutrinos drehen sich immer mit dem Uhrzeigersinn. Wenn man das Universum nun spiegelt, so schaffen wir Teilchen, die es auf dieser Seite des Spiegels nicht gibt: Neutrinos, die sich mit dem Uhrzeigersinn um ihre Bewegungsachse drehen. Neutrinos sind wie Vampire. Sie haben keine Spiegelbilder.
Aber nicht nur die P-Symmetrie ist verletzt. Dasselbe gilt auch für die Spieglung C. Diese wandelt Neutrinos in Antineutrinos um. Wenn man dabei aber nicht gleichzeitig den Raum spiegelt, erhalten wir auch wieder sich falsch drehende Neutrinos. Das heißt, die physikalischen Gesetze - und damit das Universum - sind weder C- noch P-symmetrisch.
Betrachtet man jedoch C und P gemeinsam, ist alles wieder im Lot: Aus einem linksdrehenden Neutrino wird dann ein rechtsdrehendes Anti-Neutrino.
Doch der Glaube an die Erhaltung von CP war nur von kurzer Dauer. Der Symmetriezerfall im Weltbild der Physik schritt unaufhaltsam voran.
1964 fanden James Watson Cronin (*1931) und Val Logsdon Fitch (*1923) heraus, dass auch die Kombination CP nicht gilt. Dazu hatten sie Kaonen untersucht - Teilchen, die in Teilchenphysikexperimenten erzeugt werden und schnell wieder zerfallen. Cronin und Fitch zeigten, dass der Zerfall einiger weniger dieser Kaonen die CP-Symmetrie verletzt.