Elefanten aus Mücken
Symmetrien helfen Physiker dabei, Theorien zu entwickeln, die mit wenigen Annahmen möglichst viel erklären können.
Suchen Sie die wissenschaftliche Anerkennung, den akademischen Erfolg? Schielen Sie sogar auf den Nobelpreis? Dann machen Sie doch aus Mücken Elefanten! Nein, dies ist kein Plädoyer für die unzulässige Aufblähung von Forschungsergebnissen. Gemeint ist das Vergnügen der Wissenschaft an der Vermehrung von Erkenntnis.
Je mehr Erkenntnis man dabei aus wenigen Annahmen gewinnt, umso größeren Eindruck schindet man – vor Kollegen und dem Nobelpreis-Komitee. Beispiel: Einsteins Relativitätstheorie. Hier beruhen so revolutionierende Aussagen wie „Eine bewegte Uhr tickt langsamer.“ oder „Energie und Materie lassen sich ineinander überführen“ im Wesentlichen auf nur zwei Annahmen. Der Rest ergab sich dann fast von selbst.
Theorien können Sie sich als eine Art Maschine vorstellen, als Aussagenvervielfacher. Man füttert sie mit Grundannahmen wie „Das Licht ist überall gleich schnell.“ oder „Ein Wissenschaftler in Bewegung sollte dieselben Naturgesetze erkennen wie sein Kollege in Ruhe.“ Diese Annahmen können von der Theorie selbst nicht erklärt werden, sondern müssen vorausgesetzt werden. Als nächstes treten dann die mathematischen Zahnräder der Theorie in Aktion – bis hinten neue Aussagen herausfallen – zum Beispiel: "Eine bewegte Uhr tickt langsamer."
Je mehr hinten herauskommt, umso besser. Bei Sparkonten wählt man ja auch das mit dem höheren Zinssatz. Theoretiker sind also ständig auf der Suche nach besonders lukrativen Erkenntnisanlagen. Und dabei sind zu ihrer größten Freude auf Symmetrien gestoßen: Denn der Zinssatz ist hier besonders hoch. Die Elefanten werden aus diesen Mücken besonders groß.
Um Symmetrien kümmern sich nicht nur Physiker. Ihnen hat sich auch eine ganze Abteilung der Mathematik verschrieben: die Gruppentheoretiker. Die untersuchen nicht etwa kleinere Menschenansammlungen, sondern mathematische Gruppen, zu denen auch viele symmetrische Aktionen zusammengefasst werden.
Nehmen wir beispielsweise einen Kreis. Er kann um einen beliebigen Winkel gedreht werden, ohne dass sich sein Aussehen ändert. In der Mathematik nennt man eine solche Drehung „Symmetrieoperation“. Davon gibt es bei einem Kreis unendlich viele, weil wir ihn um einen beliebigen Winkel drehen können. Damit nun die Symmetrieoperationen eine Gruppe bilden, muss Folgendes gelten:
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Wenn wir zwei Operationen nacheinander ausführen, erhalten wir eine dritte. (Anstatt zuerst um 90 Grad und dann um -20 Grad zu drehen, könnten wir gleich um 70 Grad drehen.)
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Auch das Nichtstun ist eine Symmetrieoperation. (Also das Drehen um null Grad.)
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Zu jeder Drehung gibt es eine Drehung, die sie wieder rückgängig macht. (Wenn man um 35 Grad nach links dreht, kann man danach auch um 35 Grad nach rechts drehen.)
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Es gilt die so genannte Assoziativität. (Wenn wir drei Drehungen um 15, 25 und 35 haben, so können wir zunächst um 40 (= 15 + 25) und dann um 35 Grad drehen, oder zunächst um 15 und dann um 60 (= 25 + 35) Grad drehen.)
Mathematiker haben sich mittlerweile alle denkbaren Symmetriegruppen angeschaut und einen mächtigen Werkzeugkasten, eben die Gruppentheorie, entwickelt, mit dem sie die Eigenschaften von Gruppen untersuchen können. Ohne diesen Kasten trauen sich die wenigsten theoretischen Physiker heute noch aus dem Haus.