Vom Problem Kleingedrucktes zu lesen
Es ist eine der eher paradox klingenden Regeln der Natur: Je winziger die Strukturen, die man in der Natur ausmachen will, umso größer sind die dazu notwendigen Energien. Deswegen sind Teilchenbeschleuniger so groß.
Gerne wird sie „Elementarteilchenphysik“ genannt – jene Wissenschaft, die den Bauklötzen des Universums auf die Schliche kommen soll.
Ob die bisher gefundenen Puzzlesteine dabei wirklich elementar sind, kann heute niemand mit letzter Gewissheit sagen. Es sprechen zwar gute Gründe dafür, aber die Menschen „wussten“ auch viele Jahre lang, dass das Atom unteilbar sei. Und gar nicht so lange davor, drehte sich die Sonne noch um die Erde – zumindest in den Köpfen der Menschen.
Und wie viel hat das bizarre Benehmen von Elektronen und Quarks eigentlich noch mit dem von Teilchen gemein? Der gegenwärtigen Beschreibung nach, der so genannten Quantentheorie zufolge wenig. Danach verhalten sich Quarks und Konsorten zwar wie Teilchen, wenn man sie erspäht, schaut man hingegen weg, so bewegen sie sich wie Wellen fort und werden mit Hilfe wabernder, den ganzen Raum durchziehender Quantenfelder beschrieben.
„Vielleicht-nicht-ganz-elementare-wabernde-Quantenfelder-Physik“ ist aber auch keine Alternative zu „Elementarteilchenphysik“. Das Los vieler Physiker fiel vielmehr auf „Hochenergiephysik“. Damit beschreiben sie ihren Versuch, die Natur bei immer höheren Energien zu untersuchen und damit immer kleinere Strukturen zu beleuchten. Dieses Mehr an Energie ist der Grund, wieso Teilchenbeschleuniger im Laufe der Zeit immer größer geworden sind. Es ergibt sich aus einem grundlegenden Prinzip in der Quantenwelt: Je kleiner etwas ist, umso mehr Energie ist vonnöten, um es genau zu untersuchen. Kleingedrucktes zu lesen, strengt halt an.
Trotz aller Einsicht: KworkQuark wird nicht in „Hochenergiephysik für alle!“ umbenannt. Begriffe dienen der Verständigung und der Begriff „Teilchenphysik“ macht seinen Job hervorragend.
Eine mathematische Herleitung für das Problem, Kleingedrucktes zu lesen, ergibt sich aus der Heisenbergschen Unschärfebeziehung und der Energie-Masse-Impuls-Beziehung der Relativitätstheorie.
Nach der Heisenbergschen Unschärfebeziehung kann man Impuls und Ort eines Teilchens nicht beliebig genau messen. So sehr man sich auch bemüht: Für beide Größen bleibt eine gewisse Unschärfe, deren Produkt mindestens von der Größenordnung der Planck-Konstante h ist.
Der Impuls eines Teilchens hängt über die Energie-Masse-Impuls-Beziehung mit der Energie zusammen:
Bei sehr schnellen Teilchen fällt der erste Term unter der Wurzel gegenüber dem zweiten nicht weiter ins Gewicht und kann getrost vernachlässigt werden. Es gilt dann:
Wenn wir jetzt noch davon ausgehen, dass der Impuls eines Teilchens größer ist als die Unschärfe im Impuls, haben wir schon alles, was wir brauchen. Die obigen Formeln ergeben dann zusammen:
Oder nach der Unschärfe im Ort aufgelöst:
[cp=1] Energieschwindel?
Wenn so riesige Maschinen zum Einsatz kommen, dann müssen die Energien der beschleunigten Teilchen doch gigantisch sein, oder? Nein, sie sind erstaunlich gering.
Nehmen wir als Beispiel das Zukunftsprojekt der Teilchenphysik, den ILC, einen über 30 Kilometer langen Beschleuniger, der in internationaler Zusammenarbeit geplant wird: Hier sollen Elektronen mit Weltrekordenergie unterwegs sein. Gemessen wird die in Elektronenvolt. Beim ILC sollen es am Ende 250 Milliarden Elektronenvolt pro Elektron sein – so etwas gab’s noch nie.
Wenn Sie jedoch selbst diese Bewegungsenergie hätten, wären Sie mit enttäuschend schlappen 12 Zentimetern pro Stunde unterwegs. Jede Schnecke ist schneller.
Haben sich hier die Planer der neuen Maschine verrechnet? Oder sind gar listige Energieschwindler am Werk? Mitnichten! Denn beim ILC wäre die Energie auf ein einzelnes Elektron konzentriert und nicht wie im Falle Ihres Körpers auf Milliarden Milliarden Milliarden Elektronen. Ein ILC-Elektron flitzt daher mit 99,9999 Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch den Tunnel. Und das überholen Sie nicht so schnell.
So berechnen Sie Ihre Geschwindigkeit bei einer Bewegungsenergie von 250 Milliarden Elektronenvolt.
Zunächst sollten wir die Energieeinheit der Teilchenphysik, das Elektronenvolt eV, in die Standard-Einheit, das Joule J, umrechnen. Ein Elektronenvolt entspricht 1,6022x10-19 Joule, macht für ein ILC-Elektron: Ekin= 4 x 10-8 Joule.
Für die Bewegungsenergie Ekin eines Teilchens mit der Masse m und der Geschwindigkeit v gilt:
Wenn wir diese Gleichung nach der Geschwindigkeit v auflösen, erhalten wir:
Das macht bei einer Masse von 70 Kilogramm 3,4 10-5 m/s oder rund 12 cm/h.